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Welche Möglichkeiten gibt es, um das Mikrobiom zu unterstützen?
Das Interesse an der Bedeutung des Mikrobioms hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Darmbesiedlung eine Schlüsselrolle für Gesundheit und Wohlbefinden spielt. Diesbezüglich werden insbesondere Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen sowie chronischen Darmerkrankungen diskutiert.
Warum Gastroenterologie?
BioProphyl: Prof. Dr. Konturek, Sie sind erfahrener Internist und Gastroenterologe und als Chefarzt an der Klinik für Innere Medizin II in Saalfeld tätig. Können Sie uns kurz einen Einblick geben, was Sie dazu motiviert hat, sich in diese Richtung zu spezialisieren?
Prof. Dr. Konturek: Die Gastroenterologie befasst sich mit Diagnostik, Therapie und Prävention von Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes und der mit diesem Trakt verbundenen Organe (Pankreas, Leber). Dabei handelt es sich um einen sehr spannenden und sich dynamisch entwickelnden Fachbereich der Inneren Medizin. Zum einen gibt es eine Reihe von diagnostischen Methoden – insbesondere Endoskopie zur Diagnostik und Therapie von verschiedenen Erkrankungen im Gastrointestinaltrakt.
Auf der anderen Seite gab es im Bereich der Gastroenterologie in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger Entdeckungen. Am spannendsten finde ich die Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit und eine mögliche Beteiligung bei chronischen Erkrankungen im und außerhalb des Darmes. Diese neuen Erkenntnisse eröffnen möglicherweise neue Möglichkeiten zur Behandlung von chronischen Erkrankungen im Darm (Reizdarm, chronisch-entzündliche Darmerkrankung) und außerhalb des Darmes (metabolische Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, neurologische und psychiatrische Erkrankungen).
Mikrobiom erklärt
BioProphyl: Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Mikrobiom. Können Sie uns einmal kurz erklären, was das genau ist und wie sich das Mikrobiom beeinflussen lässt, positiv wie negativ?
Prof. Dr. Konturek: Unter Mikrobiom verstehen wir die Gesamtheit der mikrobiellen Organismen (Bakterien, Viren, Pilzen, Archaeen). Das größte Mikrobiom finden wir im Gastrointestinaltrakt. Außerdem können auch andere Körperregionen (Lunge, Darm, Mundhöhle, Vagina etc.) vom Mikrobiom besiedelt werden. Das Mikrobiom stellt in erster Linie ein sehr komplexes Ökosystem dar, das einen entscheidenden Einfluss auf die Ausbildung des Immunsystems hat.
Darüber hinaus konnten die Studien der letzten Jahre zeigen, dass das Mikrobiom mit anderen Organen via verschiedener Achsen kommuniziert. Dazu gehören u. a. Darm-Hirn-Achse, Darm-Lungen-Achse, Darm-Leber-Achse, Darm-Haut-Achse und Darm-Knochen-Achse. Die Beeinflussung von weit entfernten Organen durch das Mikrobiom ermöglichen die Herstellung verschiedener Stoffwechselprodukte durch Mikroben. Dazu gehören in erster Linie kurzkettige Fettsäuren (Butyrat, Propionat, Acetat), aber auch andere Substanzen wie Indole und Neurotransmitter (GABA, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin).
Im gesunden Darm (Eubiose) herrscht ein Gleichgewicht zwischen gesundheitsfördernden Bakterien und krankheitsfördernden Bakterien. Die negative Verschiebung dieses ausgewogenen Verhältnisses wird als Dysbiose bezeichnet. Die verstärkte Besiedelung des Darmes mit entzündungsfördernden Bakterien kann zu verschiedenen Symptomen im Darm führen: z.B. zu Blähungen, Bauchschmerzen, Unwohlsein, Übelkeit, Erbrechen oder chronischem Durchfall. Auch Symptome außerhalb des Darmes wie Abgeschlagenheit können als Folge der Dysbiose in den Vordergrund treten. Aus diesem Grund besteht bei intestinaler Dysbiose die Notwendigkeit, die Zusammensetzung des Mikrobioms therapeutisch zu beeinflussen.
Aktuell stehen eine Reihe von mikrobiommodulierenden Therapien zur Verfügung. Dazu gehören u. a. Präbiotika, Probiotika, die Kombination von Präbiotika und Probiotika (Synbiotika), fäkale Mikrobiota-Therapie und Postbiotika. Bei Präbiotika handelt es sich meistens um schlecht verdauliche Kohlenhydrate (z. B. Inulin), die das Wachstum und die Aktivität von nützlichen Bakterien unterstützen. Bei Probiotika handelt es sich um lebende Mikroorganismen, die mit positiven Effekten auf die Gesundheit assoziiert werden. Zu den typischen Vertretern der Probiotika gehören Laktobazillen und Bifidobakterien.
Präbiotika und Probiotika lassen sich kombinieren (Synbiotika). Diese können die Immunmodulation und Kolonisierungsresistenz für pathogene Keime unterstützen. Bei der fäkalen Mikrobiota-Therapie (FMT) handelt es sich um die Übertragung von Stuhlmikroben vom gesunden Spender in den Darm eines Patienten, der unter einer dysbioseassoziierten Erkrankung leidet (z. B. rezidivierende Clostridium-difficile-Infektion, chronisch entzündliche Darmerkrankung oder Reizdarmsyndrom). Mithilfe von FMT können erfahrungsgemäß viel stärkere mikrobiommodulierende Eigenschaften erzielt werden, als mithilfe von Prä- oder Probiotika.
Schließlich kann das Mikrobiom auch mit der Unterstützung von Postbiotika moduliert werden. Hierbei handelt es sich um eine Aufbereitung aus unbelebten Organismen und/oder Komponenten davon, die dem Wirt einen gesundheitlichen Nutzen bringen sollen. Zu den Postbiotika gehören u. a. nützliche Stoffwechselprodukte, wie kurzkettige Fettsäuren (z. B. Butyrat). Vor kurzem konnte zum ersten Mal ein signifikant positiver Effekt von Butyrat auf die Entzündung bei Patienten mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung demonstriert werden.
Probiotika und Ernährung
BioProphyl: Viele Menschen möchten ihren Lebensstil durch die Ernährung positiv beeinflussen. Können Sie uns einmal erklären, welche Rolle Probiotika in diesem Zusammenhang spielen? Und gibt es besondere Darreichungsformen von Probiotika, die Sie als Facharzt empfehlen würden?
Prof. Dr. Konturek: Sowohl unser Lebensstil, als auch die Ernährung können einen gravierenden Effekt auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms haben. Viel Sport, Verzicht auf Rauchen und Alkoholkonsum zeigen einen sehr positiven Effekt auf das intestinale Mikrobiom. Die Ernährung spielt eine entscheidende Rolle bei der Zusammensetzung des Darmmikrobioms. Die Eubiose kann durch den Konsum von ballaststoffreichen Lebensmitteln, Obst, Gemüse und Verzicht auf hochprozessierte Ernährung (Fertigprodukte) unterstützt werden.
Prä- und Probiotika: Auswahlkriterien
BioProphyl: Welche Faktoren sollten bei der Auswahl von Prä- und Probiotika berücksichtigt werden und wie wichtig ist die Kombination von Präbiotika und Probiotika (Synbiotika)?
Prof. Dr. Konturek: Es ist bekannt, dass sich die Probiotika in ihren Eigenschaften unterscheiden. Dennoch ist zum aktuellen Zeitpunkt noch keine personalisierte Therapie mit Probiotika möglich. Generell sollte die Therapie mit einem Probiotikum aus meiner Sicht mindestens 3 Monate dauern. Bei positiven Veränderungen kann diese Therapie entsprechend länger erfolgen. Sollte der Patient keinen Nutzen davon haben, muss diese Therapie entsprechend umgestellt werden.
Probiotika der Zukunft
BioProphyl: Gibt es neue Entwicklungen oder Trends in der Forschung zu Probiotika, wie z.B. Probiotika der nächsten Generation? Wie sehen Sie die Zukunft der Prä- und Probiotikaforschung und welche Herausforderungen müssen noch bewältigt werden?
Prof. Dr. Konturek: In den letzten Jahren gibt es den Trend zur Entwicklung von sogenannten Probiotika der nächsten Generation. Hierbei handelt es sich um anaerobe Bakterien, die schlecht kultivierbar sind. Mit der Entwicklung neuer Sequenzierungs- und Kulturmethoden besteht die Möglichkeit, dass diese Probiotika der nächsten Generation zum therapeutischen Einsatz kommen. Zu solchen Probiotika gehören u. a. Roseburia intestinalis, Akkermansia muciniphila, Faecalibacterium prausnitzii, Bacteroides fragilis, Eubacterium hallii, Prevotella copri und Parabacteroides goldsteinii. Diese Probiotika zeichnen sich durch stärkere therapeutische Eigenschaften auf den Darm aus. In erster Linie unterstützen sie die Wiederherstellung der Darmbarriere. Außerdem werden antikarzinogene und antientzündliche sowie ausgeprägte immunmodulierende Effekte diskutiert. Die größte Herausforderung ist die Überprüfung der Sicherheit dieser Probiotika. Dazu benötigen wir eine Reihe von in vitro Studien, vor allem klinische Studien.
Regionale Unterschiede in Probiotika
BioProphyl: Gibt es kulturelle oder regionale Unterschiede in der Verwendung von Prä- und Probiotika, die besonders interessant sind?
Prof. Dr. Konturek: Es gibt vor allem kulturelle und regionale Unterschiede bei dem Verzehr von probiotischen Lebensmitteln. Das ist in erster Linie auf die unterschiedliche Diät zurückzuführen. Während in einigen Staaten eine fetthaltige und hochprozessierte Ernährung im Vordergrund steht (Westeuropa, USA), ist die mediterrane Ernährung in den südeuropäischen Ländern sehr gesund und Mikrobiom-unterstützend. Aktuell gilt die mediterrane Diät als die beste im Hinblick auf die Erhaltung der gesunden Bakterien im Darm (Eubiose). In den asiatischen Ländern sind auch verschiedene probiotische Lebensmittel verbreitet (Kimchi, Miso, Natto, Lassi, Kecap, Tempeh etc.).
Tipps für ein gesundes Mikrobiom
BioProphyl: Welche Empfehlung möchten Sie abschließend aussprechen, um das Mikrobiom in einem normalen Zustand zu halten?
Prof. Dr. Konturek: Das Mikrobiom spielt meiner Meinung nach eine zentrale Rolle bei der Erhaltung der Gesundheit. Aus diesem Grund empfehle ich, dass wir unser Mikrobiom entsprechend täglich pflegen: Dazu gehören die Einnahme von Lebensmitteln mit einem hohen Anteil von Ballaststoffen, der Verzicht auf Fertigprodukte und hochprozessierte Ernährung, das Meiden von antibiotischen Therapien und die Einnahme von fermentierten Nahrungsmitteln (Sauerkraut, Kefir, Joghurt, Kimchi, Miso etc.). Nur so können wir meines Erachtens die Entwicklung einer intestinalen Dysbiose verhindern. Die Möglichkeit, Ernährungsinterventionen zu entwerfen, die speziell auf die Erhöhung bestimmter bakterieller Metaboliten abzielen, um inflammatorische Gesundheitsergebnisse zu verbessern, scheint in greifbare Nähe zu rücken.
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