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Prof. Dr. Dieter Jahn: Mikrobiom und biotechnologische Innovationen

Wenn es um das gesundheitliche Potenzial von Probiotika geht, fällt häufig der Begriff Darmmikrobiom. Die Forschung konnte bereits zeigen, dass die gezielte Gabe probiotischer Kulturen die mikrobielle Besiedlung des Darms positiv verändern kann. Das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil – insbesondere für eine vollwertige, pflanzlich betonte und möglichst naturnahe Ernährung – ist im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes allerdings grundlegend.

Prof. Dr. Jahns Karriereweg

BioProphyl: Prof. Dr. Jahn, Sie haben eine beeindruckende Karriere in der Biologie hingelegt und sind heute Sprecher des Braunschweig Integrated Centre of Systems Biology BRICS und geschäftsführender Leiter des Instituts für Mikrobiologie. Können Sie uns zunächst einen Einblick in Ihren Werdegang geben und erklären, warum Sie diesen Weg gewählt haben?


Prof. Dr. Jahn: Zunächst wollte ich ganz klassisch Biologie/Chemie und Sport auf Lehramt studieren. Da es allerdings in meiner Jugend zu viele Gleichgesinnte gab, hätte ich zu lange auf einen Referendariatsplatz warten müssen. Daher entschied ich mich, einen alternativen Weg einzuschlagen und habe in der Krebsforschung in Marburg promoviert. Im Anschluss folgten 4 Jahre an der Yale Universität in den USA und danach weitere 4 Jahre am Marburger Max-Planck-Institut für Mikrobiologie. Mit Mitte 30 bekam ich meine erste Professur in Freiburg. Seit 2000 bin ich an der Technischen Universität Braunschweig tätig. Mir war es bei meiner jeweiligen Jobwahl übrigens auch immer wichtig, dass ich in meiner Position möglichst wenig Schlips tragen muss.

Zu den spannendsten, wenn auch sehr anstrengenden Stationen meiner Karriere gehörte die Eröffnung des Braunschweiger Integrated Centre of Systems Biology BRICS, für das ich nach wie vor als Sprecher tätig bin. Neben diesen positiven Erfahrungen meiner Karriere gab es natürlich auch Ereignisse, auf die ich weniger gerne zurückschaue: Anfang 2020 wäre ich zu Beginn der Pandemie fast an Corona gestorben. Glücklicherweise hörte ich auf den Rat eines wissenschaftlich kooperierenden Gastroenterologen und ließ mich sofort in ein Krankenhaus einweisen – zu einer Zeit, wo die Pandemie-Maßnahmen noch in den Kinderschuhen steckten.


Das Mikrobiom im Körper

BioProphyl: Als Mikrobiologe verfügen Sie auch über viel Wissen rund um das Mikrobiom in unserem Darm. Können Sie uns einmal erklären, was das Mikrobiom ist und welche Funktion es in unserem Körper hat?


Prof. Dr. Jahn: Viele denken zunächst an das Darmmikrobiom, obwohl die Bakterien fast unseren gesamten Körper – beispielsweise das Ohr, die Nase, die Haut und die Geschlechtsorgane – besiedeln. Zu den Mikroorganismen gehören jedoch nicht nur Bakterien, sondern auch Pilze wie Hefen, Archaea, Viren, Würmer und Bakteriophagen.

Lassen Sie uns bezüglich der Funktion auf das Darmmikrobiom konzentrieren: Unsere Nahrung bestimmt, welche Mikroorganismen in unserem Darm leben. Anders ausgedrückt: Je nachdem, was man isst, züchtet man sich entsprechende Mikroorganismen in seinem Darm heran. Wir sind permanent von ungefähr 300 bis 400 Gramm an Mikroorganismen besiedelt – sowohl von „guten” als auch von „schlechten”.

Die „guten” Mikroorganismen zersetzen die mit dem Essen aufgenommenen Nährstoffe – insbesondere Fasern wie pflanzliche Zellwände aus Cellulose in Gemüse, Obst und Co. Als Produkte der mikrobiellen Umwandlung entstehen kurzkettige Fettsäuren (z. B. Essigsäure, Buttersäure), die wiederum Signale für unseren Körper sind. Wir benötigen also diese „guten” Bakterien, da sie über ihre Produkte in unserem Organismus wichtige Prozesse steuern. So können die richtigen Mikroorganismen unseren Körper dabei unterstützen, ihn in guter Form zu halten. Um von den positiven Eigenschaften der Mikroben zu profitieren, kommt es allerdings auf die richtige Ernährung an. Diesbezüglich ist deshalb ein Ernährungsstil mit hohem pflanzlichen Anteil sinnvoll.

Wer hingegen viel rotes Fleisch isst, erhöht das Risiko, sich ungünstige Bakterien heranzuzüchten. Diese „negativen” Mikroorganismen zersetzen die in Fleisch enthaltenen Fette und Aminosäuren zu Abbauprodukten. Die unerwünschte Folge: einige dieser Abbauprodukte werden von unserem Körper als negatives Signal verstanden – und können beispielsweise das Risiko für Diabetes begünstigen. Auch sogenanntes „TMAO” (Trimethylaminoxid) wird vorrangig von Fleischessern gebildet. Die Darmbakterien wandeln Bestandteile von Fetten im Fleisch in TMAO um – und können so das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt erhöhen. Das ist übrigens eine Erklärung dafür, warum ein hoher Fleischverzehr mit negativen Effekten für unsere Gesundheit einhergeht.

Primäre Gallensäuren fungieren als Emulgatoren (Spüli) für die Fettbestandteile unserer Nahrung, da Fette ja nicht wasserlöslich sind. Die „guten” Darmbakterien wandeln nun primäre Gallensäuren in sekundäre Gallensäuren, die wiederum dann als Informationsmoleküle für unseren Körper dienen und in vielfältige Prozesse von Psyche bis Infektion positiv eingreifen. Nochmal, all das Gute geschieht, wenn man die „guten“ Bakterien hat, die man sich durch vernünftige Ernährung im Darm anzüchtet.


Innovationen in der Biotechnologie

BioProphyl: Sie haben intensiv an der Nutzung von Mikroorganismen in der Biotechnologie gearbeitet. Welche aktuellen Entwicklungen oder Innovationen in diesem Bereich halten Sie für besonders vielversprechend und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?


Prof. Dr. Jahn: Die moderne Biotechnologie zielt vor allem darauf ab, Medikamente wie Antibiotika, Krebstherapeutika oder Impfstoffe und Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine herzustellen. Diese biotechnologischen Ansätze basieren heute übrigens fast ausnahmslos auf Gentechnik. Ohne eine gentechnische Veränderung gäbe es weder Vitamine noch einen Corona-Impfstoff. Selbst Käse – der nicht auf klassische Weise mit getrocknetem Labferment hergestellt wird, um das Protein Casein auszufällen – basiert im Grunde stets auf gentechnisch veränderten Mikroorganismen.

Als zukünftige Hauptinnovation sehe ich die Produktion von teuren Medikamenten, wie zum Beispiel die biotechnologische Herstellung von Antikörpern gegen Krebs. Dabei ist es das Hauptziel, die Produktion billiger zu gestalten. Dafür werden innovative, biotechnologische Verfahren benötigt, die relativ schnell realisierbar sind, um der Medizin zur Verfügung zu stehen.


Mikroorganismen und Gesundheit

BioProphyl: Probiotika sind ein immer wichtigeres Thema in der Ernährungswissenschaft und Medizin. Wie sehen Sie die Rolle von Mikroorganismen in der Förderung der menschlichen Gesundheit?


Prof. Dr. Jahn: Man muss sich bewusst sein, dass Probiotika immer nur Helfer sein können. Ein gesunder Lebensstil ist grundlegend, damit eine Probiotika-Gabe überhaupt erst Sinn macht: Diesbezüglich kommt es auf gesundes Essen an – ganz nach der Devise „Gemüse statt Schnitzel”.  Nach einer Antibiotikatherapie halte ich Probiotika für sinnvoll, um ein vernünftiges Mikrobiom wieder aufzubauen – in Kombination mit einer gesunden Ernährung. Wer sich ungesund ernährt, wird von der Einnahme von Probiotika nicht profitieren können.

Gute Bakterien benötigen hochwertiges pflanzliches Eiweiß aus Hülsenfrüchten oder Nüssen. Wichtig sind die Aminosäuren – am besten aus realer Kost. Ich würde Sportlern in diesem Zusammenhang unter anderem empfehlen, künstliche Eiweißshakes allenfalls gelegentlich aufzunehmen und natürliche Nahrungsmittel wie eine selbst gekochte Linsensuppe zu bevorzugen. Nüsse eignen sich – aufgrund der hochkalorischen Zusammensetzung in geringer Menge – zudem als proteinreicher Snack, der intensiv sättigt. Diese natürlichen Lebensmittel liefern eine Extraportion wertvoller, essenzieller Aminosäuren.

Ich empfehle übrigens allgemein Naturkost statt Fertiggerichte: Unser Körper kann beispielsweise Transfette aus Frittiertem nicht erkennen. Die unerwünschte Folge: Diese körperfremden Stoffe werden nicht um- und abgebaut, sondern eingelagert und sind extrem haltbar. Diese Transfette, die in unserer Natur gar nicht vorkommen, sind in den USA bereits verboten, weil sie wahrscheinlich krebserregend sind (Hauptbestandteil von Frittierfett).

Noch eine Anekdote zur Thematik Ernährung und Mikrobiom: Früher wurden Personen, die etwas mehr auf den Hüften trugen, als „gute Verwerter“ bezeichnet. Heute weiß man, dass Übergewichtige tatsächlich ein Mikrobiom besitzen bzw. sich herangezüchtet haben, das mehr Energie bzw. Kalorien aus den aufgenommenen Lebensmitteln zieht.


Zukunft von Probiotika

BioProphyl: In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung von Probiotika in der Medizin: Welche zukünftigen Anwendungen sehen Sie für probiotische Mikroorganismen und wie könnte Ihre Forschung dazu beitragen, diese Anwendungen zu realisieren?


Prof. Dr. Jahn: In der Wissenschaft – und somit natürlich auch in meiner Forschung – wird geschaut, wie sich das Mikrobiom eines gesunden und eines kranken Menschen durch Krankheit und Ernährung verändert. Diese Beobachtungen zeigen uns Forschern dann, welche „guten“ Mikroorganismen dem kranken Menschen fehlen und welche ungünstigen Bakterien stattdessen vorhanden sind. Dabei muss genau geschaut werden, was die „guten“ und „falschen” Mikroorganismen jeweils machen, um ihre Funktion zu verstehen. Positiv wirkende Mikroorganismen können dann kultiviert und als Unterstützung des Mikrobioms, also als Probiotika gegeben werden. Zusätzlich können Substanzen, die entweder die Besiedlung mit „guten“ Mikroorganismen begünstigen oder von den guten Mikroorganismen in wichtige Signalmoleküle umgewandelt werden, also Präbiotika, zusätzlich gegeben werden.

So kann dann Schritt für Schritt eine sinnvolle Kombination aus Probiotika und Präbiotika entwickelt werden. Diese Herangehensweise bedarf parallel – wie bereits oben erwähnt – einer Ernährungsumstellung auf eine vollwertige, pflanzlich-betonte Kost mit langkettigen Kohlenhydratfasern ohne Transfette oder einem “Zuviel” an Fleisch. Wenn diese einzelnen Maßnahmen greifen, dann bin ich davon überzeugt, dass man Volkskrankheiten zukünftig systematisch von Seiten des Mikrobioms angehen kann.

Es sind allerdings noch viele wichtige Fragen offen. Welche Zusammensetzung von Bakterien kann mit welcher Ernährung gut für welche Beschwerden sein? Schließlich, wie unterscheiden sich die positiven Bakterien gegen psychische Erkrankungen von denen gegen Diabetes? Auch die optimale Dosierung und Verabreichungsform steckt noch in der Entwicklung. Genau wie die Frage mit welchen Präbiotika die Probiotika kombiniert werden sollten. Seitdem die Forschung das Erbgut von probiotischen Bakterien entschlüsselt und dann diese Probiotika kultivieren und so für die Anwendung zugänglich machen konnte, gibt es erste sichtbare Erfolge bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen.

Eine Reihe vielversprechende Studienergebnisse für die Behandlung verschiedener Erkrankungen mit Kombinationen von Probiotika und Präbiotika haben auch meine Meinung zu Präbiotika grundlegend geändert. Es kommt aus meiner Sicht zukünftig darauf an, dass innovative Kombinationspräparate aus Prä- und Probiotika entwickelt werden, die meiner Meinung nach echte Heilungserfolge möglich machen können – unter Bereitschaft der PatientInnen, ihre Ernährung anzupassen.

Es wäre natürlich großartig, wenn sich aus der laufenden intensiven Forschung Therapieansätze ableiten ließen, die erfolgreich in der Krebstherapie und in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sowie Altersleiden wie Demenz eingesetzt werden können.