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Dr. Michael Gänzle über Probiotika in Lebensmitteln
Es gibt eine Vielzahl an Probiotika, deren wissenschaftliches Interesse immer weiter wächst. Zwar deuten zahlreiche Studien auf facettenreiche Einsatzmöglichkeiten auf die Unterstützung des Wohlbefindens hin, dennoch sind gesundheitliche Wirkaussagen bisher nicht zugelassen. Entsprechend liegen aktuell keine konkreten Empfehlungen für den Einsatz und eine bedarfsgerechte Zufuhr probiotischer Kulturen vor. Gleiches gilt für Präbiotika, die sozusagen das Futter zur gezielten Vermehrung von Darmbakterien darstellen. Aufgrund der vielversprechenden Studienergebnisse liegt die große Hoffnung der Forschung darauf, zukünftig innovative Kombinationen aus Pro- und Präbiotika zu entwickeln.
Werdegang
BioProphyl: Dr. Gänzle, Sie sind Professor an der Fakultät für Landwirtschaft, Lebensmittel- und Umweltwissenschaften an der Universität Alberta und haben sich in Ihrer Karriere auch bereits eingehend mit dem Thema Mikrobiologie und Probiotika beschäftigt. Können Sie uns zunächst einmal einen Einblick in Ihren Werdegang geben und erklären, warum Sie sich für diesen Weg entschieden haben?
Dr. Gänzle: Ich begann meine akademische Laufbahn mit einer Diplomarbeit über Milchsäurebakterien in Sauerteig. Meine wissenschaftliche Karriere setzte ich fort, was mir schließlich eine Position an der University of Alberta einbrachte. Dort blieb ich thematisch eng mit Milchsäurebakterien verbunden, die auch in der Probiotika-Forschung eine wichtige Rolle spielen. In Alberta konnte ich mich intensiv mit den gesundheitsfördernden Eigenschaften von Probiotika beschäftigen, da viele Forscher in meinem Departement auf diesem Gebiet tätig sind. Dadurch konnte die Zusammenarbeit und Forschung erleichtert werden. So waren meine Projekte stets auf dieses Thema ausgerichtet.
Probiotika vs. Präbiotika
BioProphyl: Im Zuge Ihrer Arbeit haben Sie sich bereits jahrelang mit Probiotika beschäftigt. Können Sie uns einmal erklären, was genau der Unterschied zwischen Pro- und Präbiotika ist?
Dr. Gänzle: Präbiotika sind meist unverdauliche Ballaststoffe, die von Mikroorganismen fermentiert werden. Jeder Mensch besitzt eine Darmflora, die Präbiotika zu gesundheitsfördernden Stoffwechselprodukten abbaut. Der Begriff "Präbiotika" ist jedoch umstritten, da sich Wissenschaftler bisher nicht auf eine einheitliche Definition einigen konnten. Daher gibt es auch keine zugelassenen Health Claims, die Hersteller verwenden können, um die gesundheitsfördernden Eigenschaften von Präbiotika zu bewerben.
Im Gegensatz zu Präbiotika gibt es deutlich mehr klinische Studien zu Probiotika, die vielversprechend sind. Probiotika werden definiert als lebende Mikroorganismen, die die Gesundheit fördern, wenn sie in ausreichender Menge eingenommen werden. Eine Vielzahl klinischer Studien zeigt, dass Probiotika vor allem bei Durchfallerkrankungen – zum Beispiel Antibiotika-assoziiertem Durchfall, Reisedurchfall und Enterotoxigenem Escherichia coli (ETEC) – unterstützend hilfreich sind. Auch bei Neugeborenen und Frühgeborenen konnten Probiotika positive Effekte zeigen, ebenso wie bei der Vaginalflora. In einigen Ländern, z.B. Italien und Kanada, sind sehr allgemein gehaltene Health Claims zugelassen.
Milchsäurebakterien in Lebensmitteln
BioProphyl: Sie haben sich in Ihrer Forschung explizit mit Milchsäurebakterien (Probiotika) als Starter- und Schutzkulturen in Lebensmitteln befasst. Welche spezifischen Eigenschaften haben diese Bakterien, die sie zu effektiven Starter- und Schutzkulturen in Lebensmitteln machen und in welchen Lebensmitteln werden diese eingesetzt?
Dr. Gänzle: Die Mehrzahl der fermentierten Lebensmittel wird mit Milchsäurebakterien hergestellt, darunter fermentierte Milchprodukte, Sauerteigbrot und fermentiertes Gemüse wie Sauerkraut, Gurken und Oliven. Die Vielfalt der fermentierten Lebensmittel ist jedoch viel größer als viele vermuten. Welche Eigenschaften der Milchsäurebakterien dabei wichtig sind, hängt vom Substrat und der Art der Fermentation ab. Wesentlich sind zwei Eigenschaften der Milchsäurebakterien: Zum einen müssen sie sich durchsetzen können – also schneller wachsen als andere Bakterien und dadurch die Fermentation dominieren. Zum anderen sollen sie die Lebensmittelqualität in gewünschter Weise verbessern, wie zum Beispiel den Geschmack von Brot, Sauerkraut und fermentierten Milchprodukten. Milchsäurebakterien tragen wesentlich zur Aromabildung bei.
Seit zehn Jahren versuche ich, diese Vielfalt in einem Periodensystem darzustellen, welches als PDF auf meiner Webseite heruntergeladen werden kann. Wenn man sich genauer mit fermentierten Lebensmitteln befasst, erkennt man, wie groß die Auswahl ist. Zusätzlich zu den in Europa bekannten Lebensmitteln gibt es Getreidebreie, nicht-alkoholische Produkte, Würzsaucen und Sojaprodukte. In vielen Fällen ist milchsaure Fermentation maßgeblich, um die gewünschte Lebensmittelqualität herzustellen.
Verarbeitungstechniken und Probiotika
BioProphyl: Wie beeinflussen verschiedene Verarbeitungstechniken Probiotika in Lebensmitteln? Gibt es Unterschiede zwischen Probiotika in Form von Kapseln o.ä. und Probiotika verarbeitet in Lebensmitteln?
Dr. Gänzle: In Bezug auf das gesundheitliche Potenzial scheint es keine Unterschiede zu geben; zumindest liegen aktuell keine Studien vor, die dies systematisch erfasst haben. Bis zum Beweis des Gegenteils darf man davon ausgehen, dass probiotische Bakterien in Kapseln und in Lebensmitteln vergleichbare Eigenschaften haben. In vielen Fällen ist es jedoch schwierig, die Keimzahl der lebenden Mikroorganismen in Lebensmitteln aufrechtzuerhalten. Am häufigsten findet man Probiotika in Milchprodukten. Viele der Stämme, für die gesundheitsfördernde Eigenschaften nachgewiesen wurden, sind jedoch an den Darm, nicht an Lebensmittel angepasst. Es ist entscheidend, dass die Keimzahl der Stämme über mehrere Wochen hinweg hoch bleibt.
Daher gibt es eine Tendenz, Produkte in Kapselform herzustellen, da diese eine hohe Keimzahl besser aufrechterhalten können. Ob man Probiotika lieber als Beigabe durch Lebensmittel oder in Kapselform zu sich nimmt, ist eine Frage der persönlichen Einstellung. Beide Methoden sind Möglichkeiten, um Probiotika aufzunehmen.
Lebensmittel mit Probiotika
BioProphyl: Welche Lebensmittel empfehlen Sie Menschen, die ihre Aufnahme von Probiotika durch die Ernährung erhöhen wollen?
Dr. Gänzle: Wenn man Probiotika zu sich nehmen möchte, sind fermentierte Milchprodukte, denen probiotische Bakterienstämme zugesetzt wurden, eine zuverlässige Quelle für eine hohe Keimzahl. Experimentell gibt es auch probiotische Milchsäureprodukte in Form von fermentierten Gemüsesäften und anderen Produkten, aber nur wenige davon sind kommerziell in Deutschland verfügbar.
Zukunft der Probiotika-Forschung
BioProphyl: Welche zukünftigen Entwicklungen sehen Sie im Bereich der Probiotika-Forschung, insbesondere in Bezug auf die Anwendung in der Lebensmitteltechnologie?
Dr. Gänzle: Es gibt einige spannende Punkte, die derzeit in der Diskussion um die Wirkung von Probiotika besonders hervorgehoben werden.
Ein spannender Bereich sind die unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen probiotischen Stämme. Gegenwärtig geht man davon aus, dass das gesundheitsfördernde Potenzial eines Stammes, das in klinischen Untersuchungen nachgewiesen wurde, stammspezifisch ist, d.h. ein sehr nah verwandter Stamm hat nicht unbedingt dieselbe Wirkung. Neue Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass die Aufnahme von lebenden Milchsäurebakterien im Endprodukt grundsätzlich gesundheitsfördernd sein kann, unabhängig davon, welche Stämme vorkommen. Es wird interessant sein, zu sehen, ob sich diese Ergebnisse in größeren Studien bestätigen lassen.
Ein weiterer Bereich, zu dem wir aktuell forschen, betrifft die Tierproduktion. Wir untersuchen, ob die Verwendung von Probiotika bei der Aufzucht von Hühnern und Schweinen Durchfall oder die Kolonisation durch Salmonellen reduzieren kann. Ziel ist es, den Einsatz von Antibiotika zu verringern, um so die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen, die durch Hühnerfleisch auf den Menschen übertragen werden können, zu minimieren.
Fazit
Wenn man die Forschung der letzten 30 Jahre betrachtet, hat das Konzept der Probiotika erheblich dazu beigetragen, die Bedeutung der Darmflora für die Gesundheit in den Vordergrund zu rücken. Es hat sich als Pionierleistung und richtungsweisend erwiesen. Insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten wird diskutiert, inwiefern sich Probiotika als unterstützende Maßnahme für das Wohlbefinden anbieten. Offene Fragen bleiben jedoch im Hinblick auf die langfristigen Effekte lebender Mikroorganismen. Was jedoch noch nicht vollständig geklärt ist, ist die Frage, ob und wie ein gesunder Mensch widerstandsfähiger wird, wenn er regelmäßig fermentierte Lebensmittel zu sich nimmt. Dieses Gebiet bleibt auch für die Zukunft spannend und bietet viel Potenzial für weitere Forschung.
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